„Kirche digital“ oder nur „face to face“ … oder wie?

Es ist schon erstaunlich, was da innerhalb kürzester Zeit auch in der Kirche an Materialien erstellt wird und im digitalen Raum eingestellt wird, um damit zu ersetzen, was derzeit konventionell nicht mehr möglich ist. Denn die Versammlung in einem Raum, das gemeinsame Feiern, Singen und Beten, das gemeinsame Hören auf Lesung und Predigt, und auch der persönliche Austausch unter Anwesenden ist derzeit schlicht unmöglich.

Da werden stattdessen Gottesdienste seit gut zwei Wochen aus den verschiedensten Gemeinden übertragen, oder es werden Segenswünsche zugesprochen und Predigten vorgetragen, die man sich im Internet ansehen kann. Da werden Anleitungen für Bastelarbeiten vorgestellt, es werden Bibeltexte verlesen, Andachten gehalten und Meditatives vorgetragen. Pfarrer und Pfarrerinnen versuchen die Menschen über die Kamera ihres Handys anzusprechen, weil ansonsten außer telefonieren und Texte schreiben nichts mehr möglich ist.

Da blüht eine Szenerie auf, von der man bisher gar nichts wusste, und schon gar nicht innerhalb der Kirche. Da wird Kreativität frei, da entwickelt sich ein Glaubensleben und eine Bereitschaft zu Bekenntnissen, wie man sie so nicht erwartet hätte. Mit Fröhlichkeit und Gelassenheit wird da eine neue Form der Kommunikation entwickelt und erprobt und man weiß heute noch nicht, welche von diesen Formen Bestand haben werden.

Da ist etwas entstanden, was vor wenigen Wochen noch nicht denkbar war. Ein schneller Aufbruch in eine neue Technik, die Akzeptanz moderner Medien auch in der Kirche. Das kennen wir als Protestanten doch: Der Buchdruck wurde ja nicht von Martin Luther erfunden, sondern er nützte der Verbreitung seiner Ideen und Texte. Auch das Fernsehen wurde nicht in der Kirche erfunden, aber Gottesdienste lassen sich mit ihm auch erfolgreich übertragen.

Es ging jüngst ein Artikel aus einer Zeitung durchs Netz, in dem behauptet wurde, dass die Kirche gerade sehr schlecht aussehe, weil sie ihre Aufgabe nicht mehr verfolge und sich dem Diktat des Staates zu leicht unterwerfe, auf Besuche zu verzichten und das direkte persönliche Gespräch oder das gemeinsame Gebet nicht mehr anzubieten. Es wurde zwischen den Zeilen der Wunsch zum Ausdruck gebracht, aus Widerstand gegen diese neuen Regeln wie Märtyrer trotzdem den Kontakt zu suchen. Wer immer diesen Artikel verfasst hat, er oder sie kennt vermutlich all diese Aktivitäten nicht oder schätzt sie gering, weil offenbar nur der klassische Kontakt „Face-to-face“ zählt. Auch wenn er krank machen würde.

Das Gute daran ist, den persönlichen Kontakt so positiv zu würdigen. Denn ja, ohne ihn geht es auf Dauer nicht! Das ist sicherlich Konsens unter allen Beteiligten und Betroffenen.

Aber in einer solchen Situation geht man dann neue Wege, ist innovativ und experimentierfreudig. Und wird den Wert des Neuen erkennen und den Wert des persönlichen Kontakts wieder neu erkennen und ihn beleben. Das ist dann eine Aufgabe für die nähere Zukunft!

Reinhard Wemhöner, Pfarrer